Die letzte Woche war großartig. Bei einem Kunden hatte ich mit Führungskräften einen zweitägigen Workshop zum Thema Kommunikation. Von München bin ich dann weiter gereist, um mit einer Freundin das Wochenende in Berlin zu verbringen.

Die Woche hätte sogar perfekt sein können wenn da nicht der Newsletter gewesen wäre. Meine Newsletter-Abonnenten wissen vielleicht, worauf ich anspiele. Ich habe eine Email geschickt – und darin war ein Fehler. Der Link zum aktuellen Blogbeitrag führte ins Nirvana des Internets. Dabei hatte ich alles so sorgfältig vorbereitet: den Beitrag geschrieben, das Datum der Veröffentlichung geplant, den Newsletter erstellt und den Versand geplant. Alles tiptop. Am Versandtag des Newsletters war ich unterwegs und hatte erst nachmittags die Gelegenheit, den Newsletter zu lesen. Ein Klick auf den Link zum Blogbeitrag: „Upps, da ist etwas schief gelaufen. Warum bist Du hier? Hm, weil diese Seite nicht existiert, sorry.“

Mist, ein Fehler!

Neeeeeein! Mir wurde heiß und bestimmt bin ich dunkelrot angelaufen. Mist, nein! Ein Fehler. Ich hatte einen Fehler gemacht. Da ich mit dem Zug unterwegs war und die Internetverbindung nicht stabil, hatte ich keine Chance, den Fehler umgehend zu korrigieren. Und noch einige Zugstunden vor mir, um mich zu ärgern und darüber nachzudenken, wie mir das passieren konnte.

Ich mache meine Sache gerne gut. Richtig gut. Und ich mag es nicht, Fehler zu machen. Bin ich deswegen Perfektionist? Und ist Perfektionismus nicht ein wichtiges Ziel? Stell Dir vor, Ärzte oder Flugzeugtechniker würden unperfekte Arbeit leisten.

Verbesserungen als Erfolgsfaktor

Grundsätzlich ist das Streben nach Verbesserung gut. Wir alle kennen Beispiele, dass Perfektionismus ein Antreiber zu Höchstleistungen ist. Berühmte Perfektionisten sind zum Beispiel Arnold Schwarzenegger oder Will Smith.

„Ich wollte mehr, ich verlangte mehr von mir.” (Arnold Schwarzenegger)

„Deswegen studierte ich vor dem Termin das Drehbuch bis ins kleinste Detail. Zudem ließ ich mir einige neue Dialogzeilen und Storyideen einfallen und konnte den Produzenten genau erklären, wie ich diese Figur darstellen würde. Kurz – meine Vorbereitung war so überwältigend, dass die Chance auf mich regelrecht zuströmte.“ (Will Smith über seine Rolle in Independence Day)

Entscheidend ist, dass die anhaltenden Verbesserungen meinem Ziel dienen und nicht zum Selbstzweck werden. Bist Du Perfektionist?

Perfektionismus als Erfolgsverhinderer

Perfektionismus kann dazu führen, dass Menschen sich selbst ausbremsen. Sie verbringen unangemessen viel Zeit mit Details, die nicht erfolgsentscheidend sind. Sie stressen sich selbst mit der Sorge, dass etwas fehlerhaft sein könnte. Manchmal gibt es für diese Menschen auch keine „Graubereiche“ mehr. Entweder – oder ist ihr Motto: Entweder es wird perfekt oder ich lasse es ganz. Mit der Einstellung hätten wir als Kinder niemals laufen oder sprechen gelernt.

Spontaneität ist ein Erzfeind von Perfektionisten. Unangemeldeter Besuch vor der Tür? Oh weh, dann sieht mich jemand vielleicht ungeschminkt. Und es sind noch Krümel vom Frühstück auf dem Tisch.

Perfektionisten lassen sich ungern helfen, weil sie annehmen, sie müssten fehlerfrei sein.

Perfektionismus ist gesellschaftlich anerkannt

Perfektionismus hat in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Du kannst es überall lesen: die perfekte Hausfrau, der perfekte Tag, wie Du ein perfektes Hochzeitsfest organisierst, das perfekte Vorstellungsgespräch, das perfekte Dinner, der perfekte Bewerber, die perfekte Präsentation. Wie war es? Perfekt! In allen Lebensbereichen taucht die Perfektion als erstrebenswertes Ziel auf.

Falls Du noch zu den Personalern gehörst, die einen Bewerber nach seinen Schwächen fragen, dann lautet die Antwort neben Ungeduld oft Perfektionimus. Auch hier wird mit dem positiven Aspekt der vermeintlichen Schwäche kokettiert. Perfektionisten haben den Ruf, „das perfekte Arbeitstier“ zu sein.

Der Neurowissenschaftler Raphael M. Bonelli beschreibt den „Perfektionismus als attraktives Laster, denn diese Schwäche ist verzeihlich“. Er erkennt im (zwanghaften) Perfektionismus die Angst vor der eigenen Fehlerhaftigkeit. Es gibt Menschen, die nicht nur das Ziel haben, besser zu werden, sondern bei ihnen liegt im Perfektionismus ein Vermeidungsverhalten: keine Fehler machen, sich keine Blöße geben. Bonelli: „Perfektionismus reduziert den Menschen auf seine (fehlerlose) Funktion, auf seine (tadellose) Leistung.“ Also verlieren Perfektionisten ihre Menschlichkeit?

Fehler machen uns ‚ganz’… Es geht nicht darum, alles zu überstrahlen wie die Sonne. Sie ist perfekt, aber sie ist weit weg. Wir hingegen brauchen Nähe. Perfektion schafft Distanz und zerstört unsere persönliche Ausstrahlung.“ (Sabine Asgodom)

Ein Weg, um entspannter mit den eigenen Ansprüchen umzugehen

Bonelli sieht den Ausweg aus dem Perfektionsdrang darin, seine eigene Fehlerhaftigkeit anzuerkennen. Irren ist menschlich, heißt es doch. Fehler passieren und sie sind für uns der wichtigste Weg, uns weiter zu entwickeln.

Ich habe für mich gelernt, dass ich Fehler trotz allem noch nicht herzlich willkommen heiße und ich doch immer etwas Neues daraus mitnehme. Und sei es, wie ich die Veröffentlichung eines Blogbeitrags korrekt plane. 😉 „Jeder Fehler hat eine Lehre eingebaut.“ (Vera F. Birkenbihl)

Was bedeutet „perfekt“ für Dich? Achte auf die Priorität, die Du setzt, wenn Du Verbesserungen anpeilst. Mehr dazu kannst Du auch im NLP fresh up Podcast, Folge 295 hören.

Besser geht immer: Optimierer versus Perfektionist

Im täglichen Sprachgebrauch wird in meiner Wahrnehmung der Begriff Perfektionist viel zu vorschnell ausgesprochen. Oft sind Menschen gemeint, die richtig gut sein wollen, immer ihr Bestes geben und hohe Ansprüche haben. Sie haben keine Angst davor, Fehler zu machen, vielleicht sogar zu versagen. Diese Menschen sind für mich Optimierer.

Im Gegensatz dazu sehe ich die Perfektionisten, die sich sehr hohe Standards setzen und in ihrem ganzen Verhalten davon getrieben sind, Fehler zu vermeiden. Sie fürchten sich vor Fehlschlägen und zweifeln an ihrer Leistungsfähigkeit.

Wie Du herausfindest, ob jemand Perfektionist ist

Schau Dir die Bewerbung etwas genauer an. Ist sie fehlerfrei? Alles korrekt formatiert, Rechtschreibung und Grammatik passen, es ist makellos formuliert?

Achte auf die Sprache. Ein Perfektionist wird eher davon sprechen, dass etwas vollständig sein muss, vollkommen, ideal, perfekt. Er wird etwas „ganz sauber“ anwenden wollen und tendiert wahrscheinlich dazu, unzählige Seminare zu besuchen, Kurse zu belegen und Zertifikate zu erhalten. Der Optimierer wird eher davon sprechen, dass etwas passt, funktioniert, reicht, genügt oder optimal ist. Er „wäre schon zufrieden, wenn bestimmte Aspekte erfüllt sind.“ Er ist kompromissbereiter.

Ich selbst stelle dem Bewerber im Vorstellungsgespräch manchmal eine Skalenfrage. Ich zeichne einen Strahl mit den Außenpositionen Optimierer und Perfektionist. Den Bewerber bitte ich, ein Kreuz zu machen, wo er sich sieht. Dann einfach Augen auf und beobachten: ein Perfektionist wird tendenziell länger überlegen, wo er sich sieht, mag sich womöglich nicht entscheiden und zeichnet sein Kreuz sorgfältig auf.

Personaler Perfektionismus

„Perfektionist oder Optimierer“ ist übrigens kein Metaprogramm, obwohl ich es vereinzelt in der Literatur als Metaprogramm „Zielefilter“ gefunden habe. Ich ordne „Perfektionismus“ den persönlichen Werten eines Menschen zu.

Perfekt unperfekt

Ich arbeite noch an meiner Imperfektionstoleranz. Regelmäßiges Training macht Sinn. Diesen Artikel habe ich nun trotz des Bewusstseins, dass meine Texte nicht das Qualitätsniveau eines professionellen Texters erreichen müssen, zwei Mal Korrektur gelesen. Dabei noch einen Fehler entdeckt und nicht korrigiert.

Du wirst Dich deswegen nicht an mich erinnern als die Silke, die zu Beginn des 2. Absatzes einen Kommafehler hatte. Inkompetent. ;o) Ich mag den Gedanken, Meisterin des Unvollkommenen zu sein. Perfekt unperfekt. Dafür bin ich in meinem Kernkompetenzen sehr gut. Und verbessere mich täglich.

Zusammenfassung: Nicht unfehlbar, aber brilliant.

Perfektionismus ist in dem Rahmen gut, wie er dem Ziel untergeordnet ist und es um eine Verbesserung der Kernkompetenz geht.

Fehler zu machen, heißt nicht, ein fehlerhafter Mensch zu sein.

Sei mutig im Fehler machen, denn in den Fehlern liegen Deine Lektionen, die Dich wachsen lassen.

Sei doch einfach mal bewusst unperfekt – und hab Spaß,
Silke