Andrea, eine Bekannte von mir, die sehr erfolgreich im Bereich Marketing arbeitet, ist seit einiger Zeit auf der Suche nach einem neuen Arbeitgeber, bei dem sie ihre Stärken noch besser einsetzen kann. Andrea bereitet sich auf ihre Vorstellungsgespräche immer sehr gut vor, sie informiert sich über das Unternehmen, hat mehrere Bewerbungsratgeber gelesen und kann selbst auf die kniffligsten Fragen locker antworten.

Letzte Woche erzählte mir Andrea von einem Gespräch, das sie mit dem Leiter einer regional bekannten Personalberatung, nennen wir ihn mal Herrn Lassus, führte. Nach fast 30 Minuten Wartezeit, ohne jede weitere Information zur Verspätung, bat sie der Personalberater vom Flur in ein Besprechungszimmer. Es vergingen weitere Minuten; die Bewerbungsunterlagen waren nicht zu finden. Ein missmutiges Hin und Her mit dem Sekretariat führte dann zum Teilerfolg: die Unterlagen wurden gebracht. Und Kaffee. Schweigen. Ein längeres Schweigen, denn Herr Lassus brauchte eine Weile, um sich die Unterlagen durchzulesen.

Nach der Lektüre lehnte er sich zurück. „Dann erzählen Sie mal von sich.“ Andrea war verwirrt, denn nachdem nun schon einige Lesezeit vergangen war, hätte ihr Gesprächspartner ja auch schon konkretere Fragen stellen können. Andrea erzählte, warum sie sich auf die Stelle beworben hatte, warum sie die Richtige für die Stelle sei, welche weiteren Berufserfahrungen sie mitbrächte. Der Personalberater gähnte ungeniert. „Langweile ich Sie?“ reagierte Andrea schlagfertig, „welche Themen interessieren Sie denn?“ Herr Lassus winkte ab. Und erzählte dann von seinem Wochenende in Kitzbühel, wo er nach dem Skifahren und ausgiebigen Après-Ski jeden Abend in die Sauna ging. Andrea blieb höflich und hörte zu, immerhin ging es hier um ihren Traumjob. „Warum haben die mich bloß eingeladen, wenn er sich nicht für mich interessiert?“ schoss es ihr durch den Kopf.

Nach weiteren 15 Minuten, die sich für Andrea wie Stunden anfühlten, beendete der Personalberater das Gespräch. „Darf ich noch ein, zwei Fragen zu der offenen Position stellen?“ Andrea wollte sich den Traumjob nicht so einfach vermiesen lassen. Ein Blick auf die Uhr, Herr Lassus stand auf und sagte, der nächste Bewerber warte schon. Man werde sich wieder bei Andrea melden. Was übrigens nach fast vier Wochen immer noch nicht geschehen ist.

Personaler-Tabus im Vorstellungsgespräch

Als Andrea mir davon erzählte, fiel mir die Kinnlade runter. Wirklich? „Professionalität ist hier oberstes Prinzip“ steht auf der Homepage der Personalberatung. Und nun ist die Realität aus Bewerbersicht so weit davon entfernt? Offen gesprochen bin ich entsetzt, dass es Personaler gibt, die sich so geringschätzend in Vorstellungsgesprächen verhalten.

Für Bewerber gibt es hunderte von Ratgebern, wie sie sich auf ein Vorstellungsgespräch vorbereiten sollen, was sie erwartet, was sie wissen sollten, mit welchen Fragen sie rechnen sollen – und auf der Gegenseite gibt es solche „Wildwest-Gesprächsstrategien“, solche Tabus im Gespräch mit einem Bewerber? Von Strategie zu schreiben scheint mir in diesem Fall sogar noch sehr optimistisch, doch wer weiß, was das Ziel der Personalberatung bei dieser Gesprächsführung sein mag.

Dieser Eindruck trifft mich persönlich in meiner Personaler-Ehre. An dieser Stelle spreche ich mich ganz deutlich dafür aus, dass sich auch Personaler Zeit nehmen und sich auf Vorstellungsgespräche vorbereiten. Bislang habe ich angenommen, das sei selbstverständlich.

Ich freue mich immer auf Bewerbergespräche, bin neugierig auf die Menschen, die ich kennen lernen darf. Im Vorfeld habe ich selbstverständlich die Bewerbung gründlich gelesen und kenne den Lebenslauf des Bewerbers. Daraus resultieren dann schon erste Fragen, die ich mir notiert habe.

Vier Grundlagen für ein professionelles Vorstellungsgespräch

Wenn es schon so viele Ratgeber und Checklisten für Bewerber gibt, dann dürfen auch wir Personaler professionell in ein Vorstellungsgespräch starten. Hier meine persönlichen top vier Grundlagen, die sich in meinen Gesprächen mit Bewerbern bewährt haben:

1) Ich zeige Respekt, Höflichkeit und Wertschätzung

Das beginnt bei einer Vorbereitung auf das Gespräch (Lebenslauf lesen, den Namen des Bewerbers kennen), geht über Pünktlichkeit und eine angenehme Gesprächsatmosphäre bis hin zu einer Verabschiedung mit einer verbindlichen Zusage, bis wann der Bewerber die nächste Information zum Stand seiner Bewerbung erhält.

2) Ich bin neugierig auf den Bewerber, zeige echtes Interesse an ihm.

Statt abgedroschene Fragen zu stellen, wie zum Beispiel welche Schwächen der Bewerber hat (die Standardantworten darauf: Ungeduld oder Perfektionismus) oder wo sich der Kandidat in fünf Jahren sieht, lasse ich mir andere Fragen einfallen. Wie wäre es mit diesen:

Welche Fragen haben Sie zu dieser Stelle? In der Struktur der möglichen Antworten kannst Du schon viel über die Metaprogramme des Bewerbers erfahren.

Wie förderlich ist diese Stelle für Ihre Karriere, Ihren Fortschritt? Manchmal suchen Bewerber einfach verzweifelt nach irgendeinem Job. Auch ihnen wünsche ich, dass sie eine passende Stelle finden. Die Antwort auf diese Frage zielt darauf ab zu erfahren, inwiefern sich der Bewerber mit unserer Mission identifiziert und ob er eine Idee davon hat, was unser Unternehmen leistet.

Was würden Sie bei uns verbessern, wenn Sie die Stelle bekämen? Liz Ryan, die für Forbes bloggt, hat dazu ein tolles Beispiel. Vor einigen Jahren wollte sie einen Redakteur einstellen. Im Stelleninserat schrieb Sie: „Bitte schauen Sie sich die neueste Ausgabe unseres Newsletters unter diesem Link an und senden Sie uns Ihre Vorschläge zur Verbesserung in Ihrer Bewerbung.“ 92 Personen antworteten auf die Anzeige. Nur sechs von ihnen erwähnten den Newsletter. Von den sechs gaben vier Personen an, dass Sie den Newsletter mochten. „Warum sollte ich einen Redakteur einstellen, der nichts beizutragen hat?“ Die anderen zwei hatten wunderbare Verbesserungsvorschläge zum Newsletter. „Wir stellten einen der zwei als unseren Redakteur ein und die zweite Person begann für uns zu schreiben.“

3) Ich nehme wahr und interpretiere nicht.

Im Gespräch bin ich achtsam und beobachte meinen Gesprächspartner. Ich nehme seine Reaktionen wahr und interpretiere nicht. Interpretation gehen über eine „objektive Wahrheit“ hinaus und beinhalten Sichtweisen, die durch unsere Filter und Erfahrungen geprägt sind.

Wir nehmen bei Bewerbern manchmal wahr, dass ihre Stimme zittert. Die Bedeutung, die Du diesem Stimmzittern beimisst, ist Deine persönliche Interpretation. Bedeutet die zitternde Stimme für Dich Unsicherheit? Es kann auch Aufregung sein. Was nimmst Du an, wenn jemand die Hände vor seinem Bauch verschränkt? Ablehnung? Oder macht er sich einfach gemütlich?

Sei also aufmerksamer Zuhörer und Beobachter und Dir selbst gegenüber sehr achtsam, wenn Du aus Deiner Wahrnehmung eine Interpretation ableitest.

4) Ich nutze professionelle Fragetechniken.

Meine Fragen sind klar verständlich. Suggestivfragen, Schachtelfragen oder provokative Fragen sollten die Ausnahme sein. Leg dem Bewerber keine Worte in den Mund, er kann für sich selbst sprechen. Manchmal braucht Dein Gesprächspartner vielleicht etwas Zeit, um seine Antwort zu formulieren. Bleib geduldig.

Gib Deinem Gesprächspartner nicht das Gefühl, in einem Verhör zu sein. Gehe auf seine Antworten ein, bleib trotz Deines Fragekatalogs flexibel und stelle die vorbereiteten Fragen, wenn es inhaltlich gerade gut passt.

Zusammenfassung: Vier Grundlagen für ein professionelles Vorstellungsgespräch

Auch wenn Du als Personaler im Vorstellungsgespräch auf der „anderen Seite“ sitzt, sei professionell und bereite Dich auf das Gespräch vor.

Vier bewährte Grundlagen für ein angenehmes Vorstellungsgespräch:

  1. Respekt, Höflichkeit und Wertschätzung
  2. Echtes Interesse am Bewerber
  3. Achtsamkeit und Wahrnehmung statt voreiliger Interpretation
  4. Professionelle Fragetechniken

Was sind für Dich die wichtigsten Grundlagen für die Vorstellungsgespräche, die Du führst? Was die absoluten Tabus? Ich freue mich auf Deine Kommentare.

Hab eine gute Zeit und führ´tolle Gespräche,
Silke