Vor einigen Tagen war ich zu Gast in einem tollen Unternehmen, das zahlreiche Male als Great Place to Work ausgezeichnet wurde. Ein Unternehmen, das bunte Vielfalt fördert, vom Standard abweichende Räume  geschaffen hat und für die Mitarbeiter neben interessanten Aufgaben auch ein tolles Programm drumherum bietet.

„Gewöhnen sich die Mitarbeiter nicht an all diese Vorzüge?“ – „Ja. Man gewöhnt sich ja auch an tolle Mitarbeiter.“

Bäm. Die Aussage hat mich beschäftigt. So wahr; wir gewöhnen uns an alles, oder?

Vorteil von Routine

Wenn es um Erfolg geht, ist eine der häufigsten Empfehlungen, sich Erfolgsroutinen anzutrainieren. Rituale zu schaffen, die Erfolg und persönliche Weiterentwicklung unausweichlich machen. Zum Beispiel jeden Morgen eine Stunde früher aufstehen, um zu lesen oder Sport zu treiben.

Aus Routine entsteht auch Erfahrung. Wissenschaftler kamen auf die Zahl von 10.000 Stunden, die wahres Expertentum ausmacht. „Diese Untersuchungen zeigen, dass 10.000 Übungsstunden erforderlich sind, um sich dieses hohe Maß an Kompetenz zu erarbeiten, das man von Experten von Weltrang erwartet.“ heißt es in dem Buch „Überflieger“ von Malcom Gladwell (< Partnerlink).

Routine macht uns zu Profis. Routinierte Abläufe sind so gut einstudiert, dass alles schnell erledigt ist. Fast wie von Zauberhand, ohne lange nachdenken zu müssen.

Nicht denken? Da liegt der Haken! Wir stellen bei Routineabläufen das Denken ab und funktionieren einfach irgendwie.


Gewohnheit ist gut, wenn wir nicht zu ihrem Sklaven werden.


Betriebsblindheit

Mit dem Nicht-mehr-Nachdenken tappen wir in die Gewohnheitsfalle. Wir machen alles wie immer. Denken nicht mehr um die Ecke. Suchen keine neuen Wege. Das fällt uns meistens dann auf, wenn neue Mitarbeiter ins Unternehmen kommen. Wie oft lautet dann auf die Frage, warum Abläufe gerade „so“ gestaltet seien, die schulterzuckende Antwort: „Weil wir es immer so machen.“

Für Veränderung und Wachstum ist eine solche Aussage das Aus. Ich habe es sogar schon erlebt, dass neuen Mitarbeitern gesagt wurde, sie würden sich schon noch an die Abläufe gewöhnen. Alles eine Frage der Zeit.

NEIN! Genau das soll nicht passieren – neue Mitarbeiter mundtot machen und ihre „andere“ Perspektive ignorieren, ist Wachstumsverhinderung. Warum sollte ich neue Mitarbeiter zu Systemerhaltern machen, wenn ihre Sichtweise doch viel Potenzial für Verbesserungen beinhalten kann?

Vergangenheitsorientierung

Gewohnheit und Routine sind oftmals vergangenheitsorientiert. Gerade jetzt, zum Jahresende, ist  in vielen Unternehmen die Planungsphase für das Folgejahr. Und wie wird das Budget häufig erstellt? Die Mitarbeiter schauen auf die Zahlen der letzten Jahre und orientieren sich daran. Wird’s deutlich? Reine Vergangenheitsorientierung.

Auch im Recruiting ticken viele Personaler vergangenheitsorientiert. Der Lebenslauf des Bewerbers ist in vielen Fällen die Basis für erste Auswahlprozesse. Welche Chance hat ein Bewerber im Bereich Marketing, wenn er gerade frisch eine marketing-orientierte Ausbildung beendet hat und zuvor 10 Jahre in der Buchhaltung tätig war? Oftmals keine.

Wie viele Menschen kennst Du, die in Unternehmen nicht optimal eingesetzt sind? In meinen Berufsjahren habe ich wirklich viele kennen gelernt. Und eine beachtliche Zahl steckt noch heute in einer unguten Arbeitssituation. Und warum? Weil sich viele Unternehmen davor scheuen, Entscheidungen zu korrigieren. Fehlentscheidungen werden einfach in Kauf genommen und über Jahre mitgeschleppt.

Was macht die Vergangenheit so attraktiv für uns? Sie ist uns bekannt. Wir können sie interpretieren. Das alles bietet die Zukunft nicht. Sie scheint vielen eher ein unkalkulierbares Risiko zu sein. Dabei ist sie – im Gegensatz zur Vergangenheit – doch von uns gestaltbar.

Alles eine Frage der Perspektive

Wenn alles rund läuft und exzellent ist, ist es nett, sich an Gutes zu gewöhnen. Ungünstig ist es, wenn Gewohnheit auf einem niedrigen Niveau eintritt. Dann freut man sich möglicherweise, dass alles besser läuft als im Vorjahr und vergisst, dass es trotz allem noch schlecht ist. Ein durchschnittlicher Krankenstand von 15 Prozent mag besser sein als 18 Prozent im Vorjahr und ist trotz allem noch schlecht. Alles eine Frage der Perspektive.


Besser kann auch immer noch schlecht sein. Von welchem Niveau gehst Du aus?


Was hilft gegen Betriebsblindheit?

Wahrscheinlich kann sich niemand zu 100% gegen Betriebsblindheit wehren. Sie als Naturgesetz hinnehmen, ist allerdings auch keine Lösung.


Betriebsblindheit ist kein Naturgesetz und vermeidbar.


Jeder kann sich selbst trainieren, immer wieder neue Perspektiven einzunehmen. Aus Sicht anderer das Unternehmen zu betrachten. Wie erlebt zum Beispiel ein Bewerber den Bewerbungsprozess? Was sagen die Schüler über die Informationen zur Ausbildung? Was denken die Familienangehörigen über den Arbeitgeberauftritt?

Du könntest Dir auch jede Woche eine Tätigkeit bewusst auswählen und über den Ablauf nachdenken. Frag´ doch mal andere. Wie würde der Lehrling zum Beispiel die Ausbildungs-Infoabende gestalten? Oder wie würde der Lehrer vorgehen?

Stell Musterbrecher ein. Such bewusst nach ihnen. Entscheide Dich für neue Mitarbeiter, die nicht alles Vorhandene einfach hinnehmen. Sei Dir auch im Klaren, was Musterbrecher im Unternehmen bewirken. Nicht jede Firmenkultur verträgt sie. 😉

Such Dir ein gutes Netzwerk. Schließ Dich einem Erfolgsteam oder Mastermind-Gruppen an. Im Austausch mit anderen gewinnst Du neue Perspektiven.

Oder gönn Dir zu ausgewählten Themen den externen Blick. Bei HR-Themen kann ich Dich beispielsweise unterstützen. Und das muss nicht immer gleich ein gigantischer Kostenfaktor sein – wobei ich mich natürlich auch über „große“ Aufträge freue. Manchmal reicht schon eine Stunde, um neue Ideen zu gewinnen.

Und wenn Du am Ende entscheidest, dass Du alles genauso machst wie bisher, dann bitte nicht, weil es immer schon so war, sondern weil es der beste Weg ist.