Über Marskolonisten und andere Bewerber

Demnächst. In der Zukunft: „Alexa, wann startet der Surrogate vom Techniker in der Entwicklung?“ – Alexa: „Der ursprünglich geplante Surrogate ist nicht mehr verfügbar. Siri war schneller. Wir haben jetzt aber eine exklusive Kooperation mit der Marskolonie. Eine Potenzialübersicht der Kandidaten und ihre Entwicklungswünsche sind schon verfügbar. Matchingscore ist geladen.“

Ich stelle meine Tasse Kaffee zur Seite und werfe noch einen prüfenden Blick auf den Status des Autopiloten im Fahrzeug. Neugierig lasse ich mir die vorbereiteten Kandidateninfos auf der Frontscheibe anzeigen. Kandidat A ist ein 100%-Treffer. Allerdings berechnet der Algorithmus, dass der Kandidat noch im laufenden Projekt in rund 14 Monaten das Unternehmen wieder verlassen wird. Ab dem Zeitpunkt können ihn nicht mehr in seiner Zielerreichung unterstützen.

Kandidat B hat Schwächen im Knowhow. Das können wir im Grunde vernachlässigen. Wissen ist schließlich immer und überall verfügbar. „Alexa, zeig mir die Zusammenfassung vom Kandidaten B.“ Ein Hologramm des potenziellen Mitarbeiters erscheint. Er stellt gute Fragen und hat eine sympathische Familie. Lachende Kinder hüpfen durchs Video. Seine Frau erzählt, sie backe den besten Käsekuchen des Universums. Wahrscheinlich hat sie übertrieben, aber ich liebe einfach Käsekuchen. „Alexa, Kandidat B ist es. Bitte Willkommenspakt Premium“. Also den Umzug organisieren, Schulen für die Kinder – und einen guten Backofen für die Ehefrau. „Alexa, auch das ärztliche Betreuungsprogramm buchen.“ Menschen sind so viel anfälliger als ihre Surrogates.

Ja, diese Geschichte ist erfunden. Ja, ich liebe Science Fiction. Und noch einmal ja, vielleicht ist es total übertrieben. Vielleicht. Denn wie wollen wir uns ein Bild von der Zukunft machen, wenn wir die Welt doch immer durch den Filter des Bekannten und Vergangenen betrachten? Und abgesehen von der Marskolonie halte ich alles für eine mögliche Zukunft.

Um die Zukunft des Recruitings geht es in der Blogparade #NextRecruiting17, die von Winfried Felser und Henrik Zaborowski initiiert wurde. Es gibt es schon viele interessante Beiträge und spannende Ausblicke.

Getrieben durch meine Rollen als selbständige Unternehmensberaterin einerseits und Personalerin in der Praxis andererseits bin ich angesichts der Szenarien hin- und hergerissen zwischen Zustimmung und Unruhe.

Zwischen künstlicher Intelligenz und Steinzeit-Recruiting

Mein Personalerherz hüpft vor Freude bei den vielen Möglichkeiten, die sich in Zukunft bieten. Computergestützte Lösungen sind eine großartige Chance für alle Personaler. Ich habe die Vision, dass Big Data so gut ausgewertet und genutzt wird, dass ich personalisierte Stellenangebote an die Bewerber sende, kurz bevor sie ihre Wechselwilligkeit nach außen kommunizieren. Immer einen Schritt voraus.

Mein Beraterbewusstsein erinnert mich allerdings daran, dass in vielen mittelständischen Unternehmen die heutige Recruitingpraxis noch Lichtjahre von meiner Vision entfernt ist. Zu viel alte Standards. Zu wenig Mut, einfach mal etwas Neues zu testen.

Wer meinem Blog folgt, weiß, dass es mir wichtig ist, meinen Lesern umsetzbare Vorschläge zu bieten. Anregungen zu liefern, die vielleicht nicht den Sprung ans andere Ende der Matrix bedeuten, aber immerhin einen Fort-Schritt bringen. Es wird schon zu einem Mantra:


Personaler – bewegt Euch und Eure Unternehmen. Kommt endlich raus aus dem stillen Kämmerlein und zeigt Euch. Gestalten ist das Motto der Recruiting-Zukunft!


Die Möglichkeiten, Recruiting effizienter zu gestalten und auf die Zukunft auszurichten gibt es viele.

Vergiss Best Practice

In meinen Beratungen werde ich oft nach „Best Practice“ gefragt mit der Intention, Erfolgsmodelle anderer Unternehmen zu kopieren. Was sich woanders bewährt hat, kann bei uns nicht schaden, ist die Hoffnung.

Darin liegt ein Missverständnis. Denn „Best Practice“ ist auch immer an bestimmte Rahmenbedingungen und individuelle Situationen gekoppelt. Ein 1:1-Kopieren hat dann zum Ergebnis, dass sich alle ähneln und es keine Alleinstellungsmerkmale mehr gibt. Willkommen im Club der Gleichen.

Orientiere Dich also besser an guten Beispielen, die Du dann nicht kopierst, sondern für Dich modellierst.

Vergiss die Unternehmenssicht

Das soll jetzt nicht bedeuten, dass Du gegen die unternehmerischen Ziele aktiv wirst. Gemeint ist, dass Du Deine Personalerbrille absetzt und Dich intensiv mit Deiner Zielgruppe beschäftigst. Im Recruiting beginnt das schon beim Anforderungsprofil des Kandidaten. Zu oft wird noch die eierlegende Wollmilchsau gesucht.

Sobald Du Klarheit darüber hast, ob der Wunschkandidat auch real existieren könnte, erstell Dir eine Kandidaten-Persona. Je mehr Du über Deinen potenziellen Kandidaten weißt, umso leichter kannst Du ihn ansprechen. Wo sind die Kontaktpunkte? Was motiviert Deinen optimalen Bewerber, mit Dir ins Gespräch zu kommen? Denk doch mal andersrum: Mit welchem Nutzen kannst Du Dich beim Kandidaten bewerben?

Vergiss Lebensläufe

Sie sind des Personalers Heiligtum, die Lebensläufe der Kandidaten. Darin soll angeblich die volle Wahrheit über die Eignung des Bewerbers liegen. Am besten fällt die Beurteilung aus, wenn der Lebenslauf lückenlos ist. Nicht zu viele Wechsel und „ein roter Faden“ erkennbar. Henrik Zaborowski schreibt dass wir aus den Lebensläufen „menschliche Produktdatenblätter“ kreiert haben.

Statt vergangenheitsorientiert einen Karriereweg zu betrachten, brauchen wir einen besseren Blick auf Potenziale der Kandidaten. „Hire attitude“ heißt es doch immer wieder. Und stehen die Einstellungen und Werte des Bewerbers wirklich an erster Stelle im Auswahlprozess?

Recruiting ist kein Nebenjob

Kannst Du mir mal eben ein Inserat schalten? Kannst Du mal eben den Personaldienstleister briefen? Kannste mal eben nach einem passenden Kandidaten schauen? Mal eben … ist es eben nicht!

Das Finden der richtigen Mitarbeiter darf nicht zwischen Tür und Angel geschehen, wenn ich als Unternehmer ernsthaft daran glaube, dass Menschen der wichtigste Erfolgsfaktor sind. Wer sich auf die Unternehmensfahne schreibt, die Mitarbeiter stünden im Mittelpunkt, muss professionell rekrutieren.

Die Recruiter der Zukunft brauchen andere Qualifikationen als der Personaler, der als Generalist tätig ist. Stefan Döring schreibt dazu in seinem Blogartikel deutlich, dass wir Standards in der Ausbildung benötigen, denn Recruiting kann halt nicht jeder.

Beschäftige Dich mit Trends

Kürzlich habe ich an einem regionalen Personalerforum teilgenommen, das unter dem Motto „Schon wieder alles neu?!“ veranstaltet wurde. Allein der Titel spricht Bände. Ich hatte mich in dem Fall mehr auf das Ausrufzeichen des Titels konzentriert als auf das Fragezeichen. Nun ja, mein Fehler. 😉


Veränderung ist die einzige Konstante im Leben.


Also darf ich flexibel sein, bewährte Wege und Methoden regelmäßig in Frage stellen und mich über Trends informieren. Dass die Komfortzone ein sehr bequemer Ort ist, stelle ich oft dann fest, wenn ich mich zum Thema Azubi-Recruiting austausche. Ich erwarte nicht, dass jeder daheim die aktuellen Computerspiele testet –ich teste auch nicht mehr alle; werde zu langsam 😉 – und es ist schon vorteilhaft, Fidget Spinner und Snapchat zu kennen oder sich mit YouTubern zu beschäftigen. Bei Pranks und Dabs dürfen wir dann aussteigen.

Beschäftige Dich mit neuen Technologien

Genau da sehe ich eine riesige Chance in der Zukunft. Recruiting ist mehr als nur ein Stelleninserat zu veröffentlichen. Unsere Welt wird immer digitaler – gehst Du mit? Um die richtigen Mitarbeiter zu finden, dürfen wir Personaler uns nicht vor der Onlinewelt verstecken. Wie funktioniert Suchmaschinenoptimierung? Was genau ist Remarketing? Und was soll Big Data?

Ein Blick auf Online-Marketer lohnt sich – im Sinne von „good practice“. Online-Shops wissen sehr viel über das Kaufverhalten der Kunden, sind gut informiert über wahrscheinliche Aktionen und bieten folglich kundenspezifische Produkte und Preise an. Warum sollte Big Data dann nicht auch eine Chance für die Recruiter sein?

Am Ende heißt es nicht, dass Du Dich selbst um alles kümmern musst. Aber im Grundsatz verstehen und dann mit einem Dienstleister des Vertrauens umsetzen.

Wie ist denn nun das Recruiting der Zukunft?

Algorithmen und künstliche Intelligenz werden uns das Finden und Ansprechen der richtigen Mitarbeiter auf immer schnelleren und direkten Wegen ermöglichen. Wer in der Lage ist, die gigantische Datenmenge der Internetnutzer zu analysieren und zu interpretieren, wird im Recruiting die Nase vorne haben.

Bei allen Vorteilen der digitalen Welt geht es im Recruiting immer um Menschen. Menschen in ihrer Individualität und Einzigartigkeit. Damit verbunden Dialog und Austausch. Unternehmen werden ein Ort des persönlichen Austauschs bleiben – und darum wird es auch im Recruiting weiterhin „menscheln“.

„Nehmen Sie die Menschen wie Sie sind. Andere gibt es nicht.“
Konrad Adenauer

 

Hab also den Menschen im Fokus und mach Dir die neuen Möglichkeiten im Recruiting zunutze.

Und was denkst Du über die Zukunft des Recruitings?

P.S.: Für alle, die mit den Surrogates in meiner Geschichte nichts anfangen können:

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