Wie kann man die Loyalität eines Bewerbers im Bewerbungsprozess feststellen? Diese Frage hat mir Daniela gestellt. Vielen Dank dafür! Mein erster Impuls war die Überlegung, welche Indizien ich anhand des Lebenslaufs des Bewerbers sammeln kann. Auf diesen „Klassiker“ der Betrachtung hatte mich auch Daniela hingewiesen und gefragt, ob es noch andere Möglichkeiten gäbe.

Dabei hatte ich doch gerade erst in Zürich beim HR Barcamp darüber diskutiert, dass Lebensläufe zu vergangenheitsorientiert sind und wir uns besser am Potenzial der Mitarbeiter orientieren. Welche Möglichkeiten haben wir denn im Bewerbungsprozess? Was heißt es denn, wenn ein Mitarbeiter loyal ist?

Opelaner oder Siemensianer. Das waren loyale Mitarbeiter, die ihr Unternehmen als zweite Familie betrachteten und oft bedingungslos zu ihrem Arbeitgeber standen. Oder mein Großvater, der mir früher häufig voller Stolz von seiner Arbeit „in Hütte auf der Hütte“ erzählte. Gibt es diese Spezies der lebenslang treuen Mitarbeiter überhaupt noch? Wohl kaum, denn das Bild eines steten und vermeintlich sicheren Arbeitslebens weicht immer mehr dem Gedanken der Selbstverwirklichung, auch im Beruf. Und das ist gut so. 😉

„Das Modell der langfristigen monogamen Ehe zwischen Konzern und Karrieremenschen funktioniert offensichtlich nicht mehr.“ heißt es im Buch „Thank God it´s Monday“ [Werbung]. Und so werden sich Berufswege, Karrieregedanken und Lebensläufe verändern.

Sven Gábor Jánszky spricht in seinem Buch „Das Recruiting-Dilemma“ [Werbung] nicht mehr von Mitarbeitern, sondern von Jobnomaden. Während unsere Großeltern noch ein Drei-Phasen-Lebensmodell verfolgten (Jugend, Arbeit, Rente), leben die Mitarbeiter heute schon nach einem Acht-Phasenmodell, das viel Individualität, Wechsel und Dynamik beinhaltet:

  1. Kindheit und Jugend
  2. Gründung des ersten eigenen Haushalts
  3. Erste Jobphase
  4. Familienphase
  5. Nomadentum
  6. Neuausrichtung des Familienlebens, zeitgleich Selbstverwirklichung
  7. Neuanfang
  8. Zurücklehnen.

Macht der Wunsch nach loyalen Mitarbeitern bei diesem Zukunftsszenario überhaupt noch Sinn?

Warum wir loyale Mitarbeiter brauchen

Fluktuation verursacht Wissens- und Produktivitätsschwund als auch hohe Kosten für das Finden und Einarbeiten der „Neuen“. Und wir wissen, dass die richtigen Mitarbeiter meistens nicht Schlange stehen, um sich für eine Stelle zu bewerben.

Gekoppelt an die Mitarbeiterfluktuation ist oft auch ein Kundenverlust, denn Menschen pflegen Beziehungen zu Menschen und nicht zu Unternehmen. Loyale Mitarbeiter sind der größte Wettbewerbsvorteil im Kampf um Kundenloyalität.

Was genau bedeutet Mitarbeiterloyalität?

„Loyalität bezeichnet (in Abgrenzung zu Treue, Unterwerfung oder Gehorsam) die innere Verbundenheit und deren Ausdruck im Verhalten gegenüber einer Person, Gruppe oder Gemeinschaft. Loyalität bedeutet, im Interesse eines gemeinsamen höheren Zieles, die Werte des Anderen zu teilen und zu vertreten auch dann, wenn man sie nicht vollumfänglich teilt.“ Quelle: Wikipedia

Bei Loyalität geht es also um viel mehr, als um die Treue des Mitarbeiters zum Arbeitgeber, die sich ja aus den Beschäftigungsjahren bei einem Unternehmen darstellen ließe.

Merkmal von Loyalität ist eine innere Verbundenheit.

Es ist eine Verbundenheit, die jemand auch zeigt, selbst wenn er nicht zu 100% die Werte des anderen teilt.

„Loyale Mitarbeiter sind ihrem Arbeitgeber treu, sie spüren eine emotionale Verbundenheit. Sie machen sich Gedanken um das Wohl und Wehe ihres Unternehmens. Sie identifizieren sich mit ihrer Firma und machen die unternehmerischen Interessen zu ihren eigenen. Sie sprechen oft und gut, begeisternd und leidenschaftlich gerne über ihre Firma – drinnen und draußen.“ (Anne M. Schüller)

Loyalität beginnt mit der Loyalität des Managements den Mitarbeitern und Geschäftspartnern gegenüber. Sie ist wie eine Freundschaft, freiwillig, die von beiden Seiten gewünscht ist. Und nicht befohlen.

Loyalität ist ein freiwilliges Geschenk.

Lässt sich die Loyalität eines Bewerbers messen?

Nach den angestellten Überlegungen komme ich zum Schluss: nein. Das wäre ein Blick in die Glaskugel, denn Loyalität ist keine Einbahnstraße, sondern braucht Zeit zum Entwickeln und Reifen und ist von den Menschen im Arbeitsumfeld und der Firmenkultur abhängig.

Was Du trotzdem im Bewerbungsprozess erkennen kannst, ist das Loyalitätspotenzial eines Kandidaten.

Das Loyalitätspotenzial eines Kandidaten

Emotionale Verbundenheit und aktive positive Mundpropaganda sind Merkmale von Mitarbeiterloyalität. Im Umkehrschluss bedeutet es, dass Bewerber, die sich im Vorstellungsgespräch geringschätzend über ehemalige Vorgesetzte oder Firmen äußern, zumindest diesen Personen und Unternehmen gegenüber nicht loyal sind. Ganz wertfrei betrachtet, denn die Gründe können vielschichtig sein.

Daniela hatte bei ihrer Frage die Dauer der bisherigen Tätigkeiten und Wechselhäufigkeit als die „Klassiker“ der Betrachtung genannt. Hier geht es vergangenheitsbezogen um die Frage, wie lange ein Mensch es denn in seinem bisherigen Berufsleben an einer Stelle ausgehalten hat. Der Blick auf den Lebenslauf bietet also nur einen rein zeitbezogenen „Treueaspekt“.

Metaprogramm „Gleichheit – Unterschied“

Eine weitere Information steckt in der Wechselhäufigkeit, nämlich eine Aussage über das Metaprogramm „Gleichheit – Unterschied“. Dabei geht es um die Frage, wie die innere Uhr für Veränderungen tickt. Wie häufig braucht jemand Veränderung? Wie geht er mit Veränderung um?

Personen, die durch Gleichheit motiviert werden, mögen keine Veränderungen und würden sie immer vermeiden wollen. Der Gegenpol, also Menschen mit einem Unterschiedsmuster, lieben Veränderungen und widersetzen sich stabilen Situationen.

Sei wachsam mit Deiner Interpretation von Lebensläufen. Bei einem Bewerber, der alle zwei oder drei Jahre die Stelle gewechselt hat, bedeutet der Stellenwechsel womöglich, dass dieser Mensch regelmäßig Veränderungen benötigt. Ist er trotzdem ein Top-Kandidat für Dich, den Du auch längerfristig beschäftigen möchtest, dann plan intern Veränderungen für diesen Mitarbeiter ein. Wechselnde Projekte, Umzug in ein anderes Büro oder eine neue technische Infrastruktur können durchaus schon als Veränderung ausreichend sein.

Bevorzugst Du Bewerber mit seltenen Stellenwechseln, dann behalte im Hinterkopf, dass dieser Mensch womöglich Veränderungen gegenüber nicht aufgeschlossen ist. Er ist gut eingesetzt an Stellen, bei denen es um langfristige Beziehungen geht.

Zu dem Metaprogramm „Gleichheit – Unterschied“ kannst Du in einem der nächsten Artikel ausführlicher lesen.

Cultural fit: Passt der Bewerber ins Unternehmen?

Aus meiner Sicht ist das die wichtigste Frage, die im Hinblick auf das Loyalitätsziel geklärt werden muss. Genau dieser Punkt ist Kern der Definition von Loyalität: „die Werte des Anderen zu teilen und zu vertreten.“

Inwieweit decken sich die Werte des Bewerbers mit den Werten im Unternehmen? Passt er zur Firmenkultur?

Worauf legt Ihr in Deinem Unternehmen Wert? Wie ist die Sprache? Wie werden Entscheidungen getroffen? Wie sind Arbeitsräume gestaltet? Wie ist der Umgang der Kollegen untereinander? Entspricht das alles den gewünschten Erfahrungen, die Dein Bewerber machen möchte?

In einem verhaltensorientierten Gespräch wirst Du Informationen dazu erhalten. Wie ist Dein Bewerber in der Vergangenheit mit bestimmten Situationen umgegangen? Das liefert Dir erste Anhaltspunkte für sein zukünftiges Verhalten am neuen Arbeitsplatz.

Ein Loyalitätstest aus der Praxis

Der amerikanische Online-Händler Zappo prüft die Loyalität seiner Mitarbeiter ganz praktisch. Neue Mitarbeiter absolvieren eine Trainingswoche im Kundentreueteam, dem Call Center des Unternehmens. Danach bietet man ihnen 4.000 Dollar an, wenn sie das Unternehmen verlassen wollen. So stellt das Unternehmen sicher, dass die Leute wegen der Liebe zum Job und nicht des Geldes wegen bei Zappos arbeiten werden. – In Anbetracht der Kosten einer Fehlbesetzung oder Mitarbeiterfluktuation ist das ein interessanter und kostengünstiger Praxistest.

Ich persönlich lade Bewerber immer gerne für ein oder zwei Tage zum Probearbeiten ein. Ihre Bereitschaft zu diesem Schnuppern zeigt, wie viel Engagement der Bewerber für die neue Stelle und den neuen Arbeitgeber aufbringt. Und wie gesagt, es zeigt ein gewisses Engagement, keine Loyalität. Wobei sich auch die Loyalität zum aktuellen Arbeitgeber in dem Moment zeigen könnte:

Ich selbst war einmal bei einem tollen Unternehmen, wo ich wirklich sehr gerne gearbeitet hätte, zum Schnuppertag eingeladen. Es gab zwei verschiedene Termine und ich konnte keinen der beiden wahrnehmen, weil ich als Urlaubsvertretung für meinen Vorgesetzten eingeplant war und es wiederum keine Vertretung für mich gab. Zu dem Zeitpunkt war es ein echtes Dilemma für mich und meine Loyalität zum damaligen Arbeitgeber war so groß, dass ich beide Termine abgesagt habe. Ein dritter, von mir vorgeschlagener Alternativtermin wurde verschoben und am Ende gab es eine Absage für mich.

Was ist diesem Fall die „richtige“ Bewertung von Loyalität? Ich habe mich sehr loyal verhalten – und dem potenziellen Arbeitgeber gegenüber nicht engagiert genug. 😉

Weiterführende Artikel zum Thema Mitarbeiterloyalität findest Du bei Anne M. Schüller, Expertin für Loyalitätsmarketing. Hier der Link zum ersten Beitrag ihrer mehrteiligen Artikelserie: Mitarbeiterbindung oder Mitarbeiterloyalität?

Zusammenfassung: Wie hoch ist die Schnittmenge identischer Werte von Bewerber und Unternehmen?

Das ist die zentrale Frage, um eine gute Basis für gegenseitige Loyalität zwischen Mitarbeiter, Führungskräften und Unternehmen zu haben.

Suche nicht länger in Lebensläufen nach Loyalitätsindizien. Wie gut passt der Bewerber ins Unternehmen – das ist die entscheidende Frage.

Loyalität ist keine Einbahnstraße, sie ist ein Geschenk.

Wie beurteilst DU das Loyalitätspotenzial von Bewerbern? Ich freue mich auf Deine Anregungen. Kommentier einfach unter dem Artikel.