Über den Mythos Fachkräftemangel wird viel diskutiert. Mythos oder Wahrheit? Die demografische Entwicklung wird mit ins Spiel gebracht, Statistiken über die Auswanderung qualifizierter Arbeitnehmer ins Ausland hinzugezogen und das Ganze noch mit dem persönlichen Eindruck vermischt, dass immer weniger Bewerbungen reinkommen. Dann noch das Gesicht verziehen, Arme verschränken, die Stirn runzeln und fertig ist die Opferhaltung. „Ich kann es nicht ändern.“ Das ist mit Sicherheit eine Option, mit dem Fachkräftemangel umzugehen. Aus meiner Sicht die schlechteste.

Die Opferrolle im Personalmanagement

Personaler, die sich auf diesem Gedanken der Hilflosigkeit ausruhen, statt sich zu fragen, was sie zu einer Veränderung zur Situation beitragen können, sind mit ihrer Einstellung und Arbeitsweise ein echtes Unternehmensrisiko. Harte Worte? Klartext.

Ein Umdenken ist erforderlich. Wir Personaler dürfen lernen, uns immer mehr als Manager eines Wandels zu verstehen, dem wir nicht zuschauen, sondern mitgestalten. Selbst wer für Veränderungen und neue Maßnahmen kein großes Budget zur Verfügung hat, der kann immer noch nach pragmatischen Möglichkeiten Ausschau halten und durchaus hemdsärmelig Veränderungen anpacken. Jeder kleine Schritt ist eine Option, das Mitarbeiterfinden zu erleichtern.

Und wenn es schief geht? Ja – was dann? Dann weißt Du eben, dass der Weg keinen Erfolg gebracht hat und Du suchst einen neuen. Nur wer sich traut, neue Wege zu beschreiten, kann auch ein neues Ziel erreichen. Fehler sind Feedback und Lektionen, die Dir zeigen, dass der eingeschlagene Weg noch nicht der richtige war. Und wenn etwas nicht funktioniert, dann mach etwas anderes.

4 Wege, einfacher Fachkräfte zu finden

Was könnte das bei Dir im Unternehmen sein, das „mach etwas anderes“? Wahrscheinlich kannst Du nicht gleich die komplette Unternehmenswelt auf den Kopf stellen –wobei das wahrlich mal eine ganz andere Perspektive wäre. 😉 Es sind keine Riesensprünge notwendig. Starte im Kleinen.

Vier Möglichkeiten, wie Du sofort loslegen kannst:

  • Prüfe Deine Sichtweise auf die Bewerber.
  • Halt nach Quereinsteigern Ausschau.
  • Plane die Ausbildung im Unternehmen.
  • Erstelle mit den Fachabteilungen eine Personalplanung.

Welche Rolle hat der Bewerber?

Hast Du in letzter Zeit mal Dein Unternehmen aus Sicht eines Bewerbers betrachtet? Welche Erfahrungen macht der Bewerber?

Wenn es doch schon so schwer erscheint, geeignete Kandidaten zu einer Bewerbung zu motivieren, dann sollte jeder Kontakt mit Deinem Unternehmen einen großartigen Eindruck hinterlassen. Mein Verständnis ist es, dass nicht nur der Bewerber, sich bewirbt, sondern auch das Unternehmen beim potenziellen Mitarbeiter.

Bist Du genervt, wenn sich ein Bewerber telefonisch nach dem Stand seiner Bewerbung erkundigt? Du kannst Dich auch über den Anruf freuen, denn der Bewerber hat ein völlig nachvollziehbares Interesse – und er zeigt sogar Aktivität durch seinen Anruf. Das Interesse deckt sich ja sogar mit Deinem: schnellstmöglich die vakante Stelle zu besetzen. Zwei Menschen, ein Ziel – warum dann bei einem Anruf verärgert sein?

Hältst Du Dich an Zusagen, die Du Bewerbern gemacht hast? Rufst Du zum vereinbarten Zeitpunkt zurück? Es ist wichtig und zeigt unsere Wertschätzung und Respekt, wenn wir uns an Zusagen halten. Ich nehme an, Du würdest Deinen Vorgesetzten oder Partner auch nicht einfach kommentarlos vorm Restaurant stehen lassen, wenn Du einen Termin vereinbart hättest. Genau da ist der Punkt: siehst Du in dem Bewerber einen Bittsteller oder einen Partner? In dem Verständnis, dass der Bewerber ein Partner ist, der unser Interesse teilt und ein potenzieller Kollege oder Mitarbeiter ist, führen wir unsere Kommunikation auf Augenhöhe.

Der Arbeitsmarkt wandelt sich zu einem Kandidatenmarkt. Der recrutainment-Blog hat 2015 sogar zum Jahr der Kandidaten gemacht. Es geht immer mehr darum, auch den Bewerber fürs Unternehmen zu gewinnen. Darum bewirb auch Du Dich bei Deinem Bewerber. In Zukunft könnten Vorstellungsgespräche so enden:

Du: „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben einen guten Eindruck auf uns gemacht.“

Dein Bewerber-Partner: „Herzlichen Glückwunsch, Sie auch auf mich.“

Die perfekte Karriere gibt es nicht mehr

Glaubst Du noch, dass ein Bewerber einen lückenlosen, „perfekten“ Lebenslauf vorweisen muss, um die Eintrittskarte zu einem Vorstellungsgespräch zu erhalten?

Ich nehme beim Lesen von Bewerbungen wahr, dass es nur noch sehr selten die „perfekte Karriere“ gibt: Schulabschluss, Lehre oder Studium, in einem Unternehmen interne Stellenwechsel in immer größer werdende Verantwortungsbereiche. Vielleicht zwei oder drei Unternehmenswechsel in 20 Berufsjahren. Ganz abgesehen davon, ob das nun auch wirklich eine perfekte Karriere war. Häufigere Stellenwechsel werden sogar heute noch von einigen Personalern als sprunghaft bezeichnet und interpretiert, dass mit dem Bewerber ja nun etwas nicht richtig sein könne. Nun ja, da möchte ich jeden bitten, einfach mal darüber nachzudenken, wie viel wertvolles Knowhow ein Mensch sammeln kann, wenn er nicht in Jahrzehnten der Betriebsblindheit in einem Unternehmen wirkt.

Zudem sind auch viele Menschen selbst-bewusster und trauen sich, gewohnte Wege zu verlassen, um ihre Berufung zu finden. Ein medienwirksames Beispiel ist die 28jährige Jannike, die ihren Job als Personalerin in einem großen deutschen Konzern aufgab, um in einem Jahr 30 Jobs zu testen. Von den Tätigkeiten einer Biobäuerin, Erzieherin, bis hin zu Videoproduzentin und Winzerin.

Auf Quereinsteiger zu setzen, kann eine große Chance für jedes Unternehmen sein. Unternehmen können von dem breiten Knowhow der Quereinsteiger profitieren und das Wissenspotenzial im Unternehmen steigern.

Eigene Ausbildung im Unternehmen

Ich kenne Unternehmen, die immer wieder die eierlegende Wollmilchsau suchen. Bestimmt kennst Du diese Stellenanzeigen: Berufsanfänger mit abgeschlossenem Studium, Spezialkenntnissen, die einige Jahre Berufserfahrung voraussetzen und die merkwürdigsten Kombinationen aus Steuerungstechnik, Buchhaltung und Branchenkenntnissen verlangen. – Ja, das ist bestimmt alles wichtig für die Stelle. Und realistisch beurteilt: so eine Person gibt es nicht, obwohl Du sie womöglich schon seit langem händeringend suchst.

Die Lösung liegt auf der Hand: Was es nicht gibt, darfst Du gestalten. In dem Fall also eine Person einstellen, wahrscheinlich einen Quereinsteiger, die Deinem Anforderungsprofil möglichst gut entspricht und das fehlende Knowhow schulen.

Außerdem kannst Du die Ausbildungsinhalte für die Lernenden in Deinem Unternehmen so gestalten, dass die Auszubildenden auf die Zukunftsaufgaben vorbereitet sind.

„Wenn ich qualifizierte Fachkräfte haben möchte, dann muss ich sie ausbilden. Ich kann nicht erwarten, dass mein Wettbewerber für mich ausbildet – und mir später seine besten Leute schickt und die schlechten für sich behält.” –Wolfgang Grupp, trigema (Spiegel, 14.1.2014)

Personalplanung

Diese mittel- bis langfristigen Maßnahmen setzen natürlich voraus, dass es eine strategische Personalplanung gibt. In einer Umfrage von 303 befragten Entscheidern aus den Bereichen Personal, Einkauf und Fachbereich gaben 82 Prozent an, dass es einen unternehmensweiten Strategieplan gäbe. Der ist allerdings ein eigenbrödlerisches Werk der Personalabteilung mit der Geschäftsleitung. „Für die Personalbedürfnisse der Kollegen aus den Fachbereichen gibt es hingegen eine kalte Abfuhr“, so sagt Frank Schabel (Leiter Marketing/Corporate Communications der Hays AG).

Personalplanung, die am grünen Tisch entstanden ist und die Abteilungsrealität in den verschiedenen Bereichen außer Acht lässt, bleibt einfach ein Stück Papier, das vielleicht noch bei einem Audit einen Nutzen hat, weil es einen Haken auf der Checkliste zu bringt.

Wie gut bist Du intern vernetzt? Tauschst Du Dich regelmäßig mit den anderen Abteilungs- und Bereichsleitern aus und kennst ihre täglichen Herausforderungen? Mach einen Schritt auf Deine Kollegen zu und arbeite Hand in Hand mit ihnen. „Kennst Du den Unterschied zwischen Personalauswähler und Personalausbader?“ hat mich Olaf Kapinski von leben-fuehren.de kürzlich gefragt. Die Personaler planen und wählen die Mitarbeiter im Alleingang aus und die Führungskräfte dürfen das dann ausbaden. Kein gutes Bild, das manch Personaler bei seinen Alleingängen abgibt. Sei im Gespräch mit den Kollegen und binde sie in Planungen ein.

Zusammenfassung: Vier einfache Wege, um dem Fachkräftemangel zu trotzen

Der Arbeitsmarkt wandelt sich zum Kandidatenmarkt. Schau der Entwicklung nicht einfach zu, sondern sei aktiv:

  1. Mach Deine Bewerber zum Partner. Kommuniziere auf Augenhöhe.
  2. Halt bewusst nach „unperfekten“ Lebensläufen Ausschau und nutze das Potenzial von Quereinsteigern.
  3. Verbessere die Ausbildung im Unternehmen.
  4. Plane mit den Kollegen der Fachabteilungen den Personalbedarf.

Was ist Deine erfolgreichste Maßnahme, um trotz des Fachkräftemangels die richtigen Mitarbeiter zu finden?